"Die Sprache eines Feuerfressers"

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Die Sprache eines Feuerfressers

Verstockung

Als die Nächte schwiegen im weiten Walde
und vom bleigrauen Dome des Himmels kalte
Sternennadeln fielen,
verfolgt mit Blicken vom alten Mond
des nie lachende Maske da eisig thront,
und die düstern Wolken
über Baumwipfeln standen ungeheuer,
mußten wir schon dem Funkenflug folgen
und starren gebannt ins rote Feuer.
Und den schweren Rauch spürend im Rachen
und das Zucken der Flammen im Auge spiegelnd,
unter nackten Füßen Glut und noch lachen,
verbrannte Luft die Sinne aufwiegelnd,
so schmiegten wir uns ans Brennen.
Ich wußt’ da noch nicht, daß das unstete Leben
mir bringt, was längst nicht war mein Streben,
und daß ich’s doch nach langem Ringen
voll Feuer mußte gar besingen.
Und doch, ich sage, es reut mich nicht,
daß ich weihte dem Lohen mein Gesicht!
In der Nacht, beim Brennen, beim Glühen
wollt ich selbst voller Hitze sprühen,
und ich vergötterte dies Licht, dies Rasen,
dies Prasseln, das auffuhr bei des Windes Blasen;
das Feuer, dies vollkommene Werk.
Es fiel mich an wie Wahnsinn allein,
er behexte mich, der flackernde Schein,
und daß es ewig glühend bleibe,
riß ich, mit Beten und Verdammen,
wie toll das Herz mir aus dem Leibe
und schleudert’s beschwörend in die Flammen.

Epitaph

Ich,
geboren, unterm Feuer der Zeit,
verkohlt, verräuchert, entmoralisiert
in der Hitze der Verlassenheit,
in den Flammen der Angst vertiert,
erhitzt am Morgen,
am Tage entzündet,
leuchtend am Abend,
in der Nacht verbrannt,
getauft auf einen schönen Namen,
gnadenlos unter Narren gesät,
angefüllt mit überflüssigem Samen,
verkauft die Reinheit, den Verstand verdreht,
in der Wildheit der Tränen ausgeglüht,
verkommen in der Leidenschaft,
in der Kälte zersprungen,
in Lauwärme dahingerafft,
unter harten Schlägen hohl geklungen,
geglaubt zu lieben, wie Tristan Corbière,
verzettelt in der Hoffnung,
überholt in der Ehr’,
langweilig gelebt,
mal billig, mal teuer,
geschaffen zum Verrecken
für’s Krematoriumsfeuer;
spürend nur, wie in den Leib mir jagen
die Flammendolche der Sehnsucht,
zerriss’ne Lippen, verbeulte Visagen
nur dargeboten, so daß Flucht
mir ankommt ohne Ende.
Fahrig greifend wollen meine Hände
erhaschen was lieb ist und wert –
auf meinen Grabstein hau man mir
ein Herz, durchbohrt mit einem Schwert.

Die Symphonie in L

Und nun folgt die Symphonie in L,
denn alles Schöne
beginnt mit L.
Nimmer glaubt ich sie singen zu müssen,
doch heut muß ich, denn ich durfte küssen.
Lobpreisend will ich dich meinen, Konsonant
und folgen deinem Worte, wohlbekannt:
Licht und Luft
Langanhaltender Blütenduft
Langsames Laufen
Letztes Mal sich verkaufen
Lust und Leidenschaft
Linderung und Läuterung
Loben, Lehren, Lenken
Laß dir alles schenken
Länder ohne Grenzen
Leben voll von Lenzen
Lachen …
Lassen, alles, alles zu-Lassen
Letztes Mal hassen
Lustiger Wein
Lärm und Leben
Letztes Mal hören: Nein
Letztes geben …
Liebe – love
wild love
hard love
lonely love
last love
luck … lucky
Liebe …
Lachen, Lieben, Laben, Leben
Liebe –
Leid …

Aus: Wolfgang Hilbig: Werke. Band 1 Gedichte. Frankfurt/Main 2008.

Informationen zur Tagung in Turin unter dem Titel Le lingue di un mangiatore di fuoco. Collocare, interpretare, tradurre Wolfgang Hilbig. Die Sprache eines Feuerfressers. Wolfgang Hilbig verorten, interpretieren, übersetzen finden Sie hier

Wolfgang Hilbig im Orginalton mit seinem Text "Der Leser" am 22. Juli 2002 im Hörspielstudio 2 im Berliner Funkhaus Nalepastraße, wo im Auftrag von MDR KULTUR die Aufnahmen für das Hörbuch "Der Geruch der Bücher" in der Redaktion und Regie von Matthias Thalheim stattfanden. Dieses Gedicht gelangte damals nicht in die zeitlich limitierte Auswahl der CD. – Matthias Thalheim macht es hier erstmals der Öffentlichkeit zugänglich.
Wolfgang Hilbig liest: Der Leser
Auch die Aufnahme des Gedichtes "geste" – eingesprochen von Wolfgang Hilbig 2002 im Berliner Funkhaus Nalepastraße und bislang unveröffentlicht – wird hier zum 80. Geburtstag des Dichters von Matthias Thalheim erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Wolfgang Hilbig liest: geste